Der Berufsorientierte Abschluss

Anspruch auf Förderung Individuelle Förderung Recht auf Bildung

Grundsätzliches:

Der Berufsorientierte Abschluss (BO) ist ein nicht allgemeingültig anerkannter Abschluss in Hessen, der keinerlei Zugangsvoraussetzungen zu weiteren Bildungs- oder Ausbildungsangeboten schafft. Diesen Abschluss gibt es in anderen Bundesländern nicht und die Abgänger*innen mit BO in Hessen werden daher in der KMK-Statistik zu den Schüler*innen OHNE Abschluss gezählt.

Dazu schreibt das Deutsche Institut für Menschenrechte anläßlich der Staatenprüfung beim UN- Fachausschuss zur Umsetzung der UN-BRK:

Die überwiegende Mehrheit (72,7 Prozent) der Förderschüler*innen verlässt die Schule ohne anerkannten Abschluss. Die Betroffenen wechseln anschließend in gesonderte und theoriereduzierte Formen der Berufsausbildung; viele von ihnen arbeiten später in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen. (Factsheet Inklusive Bildung DIMR, August

Was sind also Zweck und Inhalt des BO in Hessen?

Das Hessische Kultusministerium schreibt dazu: Der Bildungsgang der Schule mit dem Förderschwerpunkt LER schließt mit dem Berufsorientierten Abschluss als Vorbereitung auf die Berufs- und Arbeitswelt
ab, soweit nicht der Übergang in den Bildungsgang der allgemeinen Schule möglich ist. Diese Schülerinnen und Schüler benötigen umfassende, spezifisch auf ihre Lernausgangslage ausgerichtete und über die individuelle Förderung hinausgehende Lernangebote, die sie darin unterstützen, ihre individuellen Lernziele zu erreichen.

Der BO dient also als Abschluss des Bildungsgangs Lernen in Hessen. Ohne den BO ist der Bildungsgang Lernen folglich nicht abgeschlossen, somit hat der/die Schüler*in dann mit Blick auf § 61 HSChG (s.u.) einen Anspruch auf Schulzeitverlängerung bis zu 3 Jahren. Der BO soll den Schüler*innen zur Stärkung des Selbstbewusstseins verhelfen sowie praktische Kompetenzen zum erleichterten Übergang ins Arbeitsleben ermöglichen.

Das wiederum deckt sich mit dem Ziel des Lehrplans der Schule mit dem Förderschwerpunkt Lernen: Die Schule für Lernhilfe muss nach den Lernmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler eine Auswahl treffen und entsprechende Schwerpunkte bei der Orientierung am Angebot der Lernziele und Unterrichtsinhalte der allgemeinen Schule setzen;

  • zentrale Bildungsinhalte stärker in den Vordergrund rücken (zum Beispiel die Vorbereitung auf das Arbeits- und Berufsleben, Hilfen zur privaten Lebensführung usw.);
  • Arbeits- und Sozialverhalten als eigenen Schwerpunkt behandeln; das heißt vor allem, im Rahmen des vereinbarten schulischen Erziehungskonzeptes ein Curriculum „Verhalten“ zu entwickeln;
  • Methodenkompetenz vermitteln.

Vorbereitung auf Arbeit und Leben nach der Schule:

  • Schlüsselqualifikationen und Kompetenzen bei den Schülerinnen und Schülern anzubahnen, um den Jugendlichen Möglichkeiten zu eröffnen, die es ihnen erleichtern, sich in die Berufs-, Arbeits- und Lebenswelt erfolgreich einzugliedern.
  • Ziel dabei ist ebenso, die Jugendlichen
    in ihrem Selbstwertgefühl, ihrem Selbstvertrauen und ihrem Verantwortungsbewusstsein in einem solchen Maße zu stützen, zu stärken und zu festigen, dass sie den Mut und die Bereitschaft aufbringen, für ihre berufliche und familiäre Zukunft zu lernen. Dies geschieht, indem frühzeitig Themen aus der Berufs-, Arbeits- und Lebenswelt durch
    projektorientierten Unterricht, Blockpraktika, kontinuierliche Praxistage und Begegnungen zwischen Schule und Wirtschaft Inhalte des Unterrichts werden.

Schülerinnen und Schüler, die das Ziel der Rückführung in die allgemeine Schule nicht erreichen können, bedürfen an der Schule für Lernhilfe bzw. im entsprechenden gemeinsamen Unterricht einer intensiven Vorbereitung auf die Berufs-, Arbeits- und Lebenswelt. (s. Lehrplan Lernen , Einführung S. 4)

Das Bundesverfassungsgericht hat im November 2021 erstmals das Recht auf Bildung gerade in diesem Sinne definiert (Beschluss des Ersten Senats vom 19. November 2021 - 1 BvR 971/21): Kinder selbst haben ein aus Art. 2 Abs. 1 GG abgeleitetes, gegen den Staat gerichtetes Recht auf Unterstützung und Förderung bei ihrer Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit in der sozialen Gemeinschaft; [RN 46]

Nach Art. 7 Abs. 1 GG kommt dem Staat die Aufgabe zu, ein Schulsystem zu schaffen, das allen Kindern und Jugendlichen
gemäß ihren Fähigkeiten die dem heutigen gesellschaftlichen Leben entsprechenden Bildungsmöglichkeiten
eröffnet
, um so ihre Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft umfassend zu fördern und zu unterstützen. [RN 48]

Der Staat kommt also, wenn er gemäß dem Auftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG die Schulbildung gewährleistet, zugleich seiner ihm nach Art. 2 Abs. 1 GG gegenüber den Kindern und Jugendlichen obliegenden Pflicht nach, sie bei ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen und zu fördern. [RN 48]

Die große Bedeutung der neuen Entscheidung liegt darin, dass das Gericht durch die Kombination
(a) des individuellen Anspruchs auf Gestaltung der Lebensbedingungen und
(b) der objektiven Verpflichtung zur Einrichtung eines Bildungssystems klar herleitet, dass der Staat gegenüber allen einzelnen Kindern und Jugendlichen die Pflicht hat, ... schulische Bildungsmöglichkeiten zu eröffnen, die deren Persönlichkeitsentwicklung dienen. [RN 48]

Der Berufsorientierte Abschluss berechtigt zwar nicht zu weiteren Bildungs- oder Ausbildungsangeboten, aber er
stärkt die Schüler*innen nochmals in ihrer Selbstwirksamkeit und Selbständigkeit. "Der Berufsorientierte Abschluss ist Zeugnis der Schülerleistung und keine Hürde; die Abschlusskriterien dienen dabei der fairen Bewertung." (Leitfaden BO, Fröbelschule Langenselbold 2012)

Er besteht aus den drei Bausteinen:

Fächer + teamorientierte Projektprüfung + Berufsorientierung

Die Fächer:

Mathematik: Anwendung mathematischer Kompetenzen
Deutsch: Umsetzen der Lese-, Rechtschreib- und Sprachkompetenz
Arbeitslehre: Grundkenntnisse und –kompetenzen aus der Arbeitswelt in verschiedenen Berufsfeldern

Die teamorientierte Projektprüfung

setzt sich aus verschiedenen Phasen zusammen:

  • Vorbereitung: Gruppenfindung, Themenwahl, Aufgabenverteilung
  • Durchführung: Umsetzung/Arbeitseinsatz, Materialsuche/-sichtung/-verarbeitung
  • Intensivphase: Vorbereitungswoche mit evtl. Generalprobe
  • Präsentation: Referat (Schriftliche Ausarbeitung nach individuellen Mögl.) und Reflexion Die Themen sind frei zu wählen. Sie haben einen unterrichtlichen und berufsorientierten Bezug aufzuweisen. Es kann sich auch um eine Praxisprüfung handeln, in dem ein Arbeitsprozess dargestellt wird. Die Präsentation findet in der Regel im Februar/März des Abschlussschuljahres statt. Prüfungsvorsitz hat die Stufenleitung BO. Beisitzer*innen sind Klassenlehrerlehrkraft bzw. betreuende Lehrkraft.

Die Berufsorientierung:

Inhalte des Berufsorientierungskonzeptes der Hauptstufe im Bildungsgang Lernen ergänzt durch die Inhalte des Berufswahlpasses sowie die Dokumentation der Praktika

Voraussetzung für das Erreichen des BO:

Mindestens die Note 4 in zwei Fächern der Fächergruppe Mathematik, Deutsch, Arbeitslehre sowie die Note 4 in der teamorientierten Projektprüfung und in der Berufsorientierung. Eine schlechtere Note aus den genannten Fächern (M,D,AL) kann durch eine mindestens befriedigende Note in der Projektprüfung oder der Berufsorientierung ausgeglichen werden. Die Note 5 in der Projektprüfung kann durch die Note 3 in der BO oder mindestens die Note 3 in zwei Fächern (M,D,AL) ausgeglichen werden. Eine Note 5 in der Berufsorientierung führt zu keinem Abschluss.

Ohne den berufsorientierten Abschluss im Förderschwerpunkt Lernen hat der/die Schüler*in einen Rechtsanspruch, seine Schulzeit durch die freiwillige Wiederholung in der bisherigen Schule zu verlängern:

Für Schülerinnen und Schüler mit Anspruch auf sonderpädagogische Förderung kann die Schulpflicht auf Antrag oder nach Anhörung der Eltern durch die Schulleiterin oder den Schulleiter um bis zu drei Jahre verlängert werden, wenn anzunehmen ist, dass sie dadurch dem angestrebten Abschluss näher gebracht werden können. Den Schülerinnen und Schülern, deren Vollzeitschulpflicht nach Satz 1 um drei Jahre verlängert wurde, ist auf
Antrag der Eltern durch die Schulaufsichtsbehörde zu gestatten, die Schule
nach Beendigung der Vollzeitschulpflicht bis zu zwei weitere Jahre zu besuchen, wenn sie dadurch dem Abschluss an dieser Schule näher gebracht werden können oder
wenn die weitere Verlängerung des Schulbesuchs an dieser Schule geeignet ist, die Aussichten der Schülerinnen und Schüler auf dem Berufs- oder Arbeitsmarkt zu verbessern.
(§ 61 Abs. 2 HSchG)