Stellungnahme zu dem Entwurf für ein Gesetz zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes

(Hess. Landtag, Drucksache 19/6413, 15.5.2018)

HAG/SGB IX

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir danken Ihnen, dass wir Eltern von Kindern mit Behinderungen zum Entwurf der HAG zur Umsetzung des BTHG angehört werden. Als Betroffene begrüßen wir es sehr, dass der LWV der überörtliche Träger der Sozialhilfe bleibt und hoffen damit auf die Umsetzung landesweit einheitlicher Standards zur Umsetzung der Hilfen zur Teilhabe für Menschen mit Behinderungen.
Die Aufteilung der Zuständigkeiten (kreisfreie Städte, Landkreise, LWV) ist für die Bereiche Eingliederungshilfe, Hilfe zur Pflege, Existenzsicherung und ihren Schnittstellen auch für die betroffenen Menschen so weit nachvollziehbar.

Bei § 3 ist nicht verständlich, warum die Formulierung gegenüber der gültigen Fassung geändert wurde. Dem Entwurf gemäß hat der örtliche Träger die Hilfe nur noch zu erbringen, wenn nicht feststeht, wer sachlich zuständig ist oder wenn der überörtliche Träger aufgrund eines Zuständigkeitswechsels nicht tätig werden kann. Für die betroffenen Menschen ist es aber immer und jederzeit unabdingbar, dass die Hilfe, wenn sie notwendig ist, in jedem Fall unverzüglich und unkompliziert erbracht werden muss. Wir schlagen daher vor, die bestehende Formulierung nach § 6, HAG/SGB XII beizubehalten:

(1) Steht nicht fest, welcher Träger der Sozialhilfe sachlich zuständig ist, hat der örtliche Träger, in dessen Bereich die Hilfe suchende Person sich tatsächlich aufhält, bis zur Klärung der sachlichen Zuständigkeit einzutreten. Das gilt auch, wenn der überörtliche Träger nicht rechtzeitig tätig werden kann, die Gewährung der Hilfe aber keinen Aufschub duldet. Der örtliche Träger hat den überörtlichen Träger unverzüglich über seine Maßnahmen zu unterrichten. Dieser hat die aufgewendeten Kosten zu erstatten. (2) Die kreisangehörigen Gemeinden haben vorläufig die unerlässlich notwendigen Maßnahmen zu treffen, wenn der Träger der Sozialhilfe nicht rechtzeitig tätig werden kann, die Gewährung der Hilfe aber keinen Aufschub duldet. Sie haben den Träger der Sozialhilfe unverzüglich über ihre Maßnahmen zu unterrichten. Der Träger der Sozialhilfe hat die aufgewendeten Kosten zu erstatten.

Warum wird in § 4, Abs. 2 vom Bundesrecht (§ 128 Abs. 1 SGB IX) abgewichen? Einen Grund für die „anlasslose Prüfung“ der zu erbringenden Leistungen nach § 4, Abs. 2 können wir nicht erkennen. Die örtlichen Träger der Eingliederungshilfe stellen erfahrungsgemäß bereits aktuell eigene Kriterien der Wirtschaftlichkeit sowie die eigene Haushaltslage bei der Bewilligung von Leistungen in den Vordergrund. Eine „anlasslose Prüfung“ in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit kommt diesen Bestrebungen zwar entgegen, nutzt aber nicht den betroffenen Menschen selbst. Die Ausführungen von Abs. 2 vermitteln uns daher den Eindruck, dass hier den örtlichen Trägern der Eingliederungshilfe mehr Spielraum in der Kostenbegrenzung der Leistungs-erbringer auch „ohne das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte“ eingeräumt werden soll.
Doch im Sinne der selbstbestimmten Teilhabe muss vielmehr der Leistungsnehmer in den Vordergrund gestellt werden. Erhält er die Leistung, die er benötigt, besteht kein Grund für eine anlasslose Prüfung. Sie widerspricht dem Tenor des BTHG, das doch gerade zum Ziel hat, aus dem altherbrachten System der Fürsorge in ein modernes Leistungsrecht zu überführen. Stehen hier wieder fiskalische Aspekte im Vordergrund, so ist nicht davon auszugehen, dass zukünftig der Leistungsnehmer die Leistung erhält, die er wirklich benötigt.

In § 7, Abs. 2 vermissen wir bei der Aufzählung der Mitglieder in der beratend tätigen Arbeits-gemeinschaft die Betroffenenverbände. Im Sinne der Teilhabe (und der Vorgabe der UN-BRK „nichts über uns ohne uns“) sind die Menschen mit Behinderungen und ihre Vertretungen ebenfalls anzuhören und zu beteiligen. § 94, Abs. 4 SGB IX sind die „Vertreter der Verbände für Menschen mit Behinderungen“ eigens mitaufgezählt, dem sollte das Landesrecht entsprechend folgen.

Gleiches gilt für § 8, Abs. 1: § 131, Abs. 2 und § 133, Abs. 5 Nr. 10 SGB IX formulieren explizit im Plural die „durch Landesrecht maßgeblich bestimmten Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen“/“Beteiligung der Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen“. Dafür reicht es nicht, im Landesrecht die Interessenvertretung auf die/den Landesbehinderte/n zu reduzieren. Der/die Landesbehindertenbeauftragte erfüllt wichtige Aufgaben im Sinne der Umsetzung und Einhaltung von behindertenrechtlichen Vorgaben in Gesetzen und Verordnungen („Compliance“) durch die Landesregierung und die Verwaltung. Er/sie hat dabei als von der Landesregierung berufene Mittlerperson zwischen der Landesregierung mit ihren Behörden und den Menschen mit Behinderungen aber nicht die Aufgabe einer Interessenvertretung im Sinne der UN-BRK („nichts über ohne uns“) und des Bundesteilhabegesetzes („maßgebliche Interessenvertretungen der Menschen“). Menschen mit Behinderungen und ihre Vertretungen sind selbst und direkt zu beteiligen.

HAG/SGB XII

Zu § 7, Interessenvertretung: Nach § 123 SGB IX, Abs. 2 Satz 4 sind die Ergebnisse der Leistungsvereinbarungen zwischen dem Träger der Eingliederungshilfe und den Leistungs-erbringern „den Leistungsberechtigten in einer wahrnehmbaren Form zugänglich zu machen“. Auch hier gilt der Grundsatz der selbstbestimmten Teilhabe im Sinne der Devise „nichts ohne uns über uns.“ Daher erschließt sich uns nicht, warum bei Einrichtung der Schiedstelle nach § 80, Abs. 2 SGB XII die „maßgebliche Interessenvertretung“ nur „die oder der Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen“ sein soll. Auch hier sind die Betroffenverbände zu berücksichtigen.

Zu § 6, Abs. 3 s. die Bemerkungen oben zur „anlasslosen Prüfung“ in § 4, Abs. 2 SGB IX.

Fazit

Der Gesetzentwurf regelt nun endlich die Zuständigkeiten bzgl. der Träger der Eingliederungshilfe und ermöglicht durch diese Regelung die Etablierung landeseinheitlicher Standards. Er bleibt aber bzgl. der Partizipation nach UN-BRK und BTHG deutlich hinter den Erwartungen der betroffenen Menschen und ihrer Verbände zurück. Partizipation ist zentrales Anliegen der Konvention, allgemeinen Grundsatz ist „die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft“ (Artikel 3 c UN-BRK). Die allgemeinen Verpflichtungen nach Art. 4, Abs. 3, die Deutschland als Vertragstaat ratifiziert und damit in gültiges Recht umgesetzt hat, bestimmen: „Bei der Ausarbeitung und Umsetzung von Rechtsvorschriften und politischen Konzepten zur Durchführung dieses Übereinkommens und bei anderen Entscheidungsprozessen in Fragen, die Menschen mit Behinderungen betreffen, führen die Vertragsstaaten mit den Menschen mit Behinderungen, einschließlich Kindern mit Behinderungen, über die sie vertretenden Organisationen enge Konsultationen und beziehen sie aktiv ein.“

Menschen mit Behinderungen und ihre Verbände sind als Experten und Expertinnen in eigener Sache („nichts über uns ohne uns“) wirksam einzubeziehen. Hier bitten wir um entsprechende Aufnahme dieses Grundprinzips auch in das Landesrecht.

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