Wie steht es mit der Umsetzung von Inklusion (selbstbestimmte Teilhabe) und Nicht-Diskriminierung (gleichberechtigter Zugang) beim Wechsel in die weiterführende Schule?

Sonderpädagogische Zersplitterung in sechs Schulbündnisse

Eltern von Kindern mit Behinderungen in Frankfurt am Main sorgen sich, dass sie keine freie Schulwahl beim Übergang 4/5 mehr haben, nur weil ihre Kinder behindert sind. Neuerdings werden sie von ihren Grundschulen dazu beraten, sie sollen nur noch innerhalb des inklusiven Schul-Bündnisses (iSB) die Schule wählen, die von der Schulbehörde zum „Standort für inklusive Beschulung“ erklärt wurde.

Immerhin schreibt das Staatliche Schulamt:

Die Sorgeberechtigten sind ggf. darauf hinzuweisen, dass das Ausweisen eines eventuellen sonderpädagogischen Förderbedarfs bzw. der Notwendigkeit besonderer Ausstattung nicht diskriminiert, sondern der Gewährleistung der in diesen Fällen im ISB gebotenen vorrangigen Aufnahme einer Schülerin/eines Schülers an einer bestimmten Schule dient. (Ergänzende Durchführungsbestimmungen, Punkt 4, SSA FFM vom 20.11.2021)

Die Stadt Frankfurt hat sogar sechs inklusive Schulbündnisse, die zunächst als Verwaltungs-einheiten des Austauschs zur besseren Organisation der sonderpädagogischen Förderung und Umsetzung der Inklusion im Schulamtsbezirk dienen. Sie sind keine „Sprengel“ oder „Schulbezirke“, d.h. sie legen keine Grenzen für eine Beschulung fest oder schließen Möglichkeiten anderer Schulorte nicht aus.

Da in der Stadt Frankfurt am Main (Amtsbezirk des Staatlichen Schulamtes) also gleich mehrere Bündnisse bestehen, innerhalb derer jeweils Standorte für die inklusive Beschulung festgelegt worden sind, stehen den Eltern somit eine ganze Reihe von weiterführenden inklusiven Schulen über den gesamten Stadtbezirk verteilt zur Verfügung, die für ihr Kind infrage kommen können.

Gleichzeitig ist ihnen über die Verordnung (§ 6 Abs. 2 VOiSB) für ihr Kind eine Platzgarantie an einer der inklusiv arbeitenden Schulen innerhalb des Schulbündnisses gegeben:

Schülerinnen und Schüler, die eine weiterführende Schule mit besonderer Ausstattung benötigen oder einen Anspruch auf sonderpädagogische Förderung haben, sind im Rahmen der Festlegung des inklusiven Schulbündnisses nach § 52 Abs. 2 Satz 1 des Schulgesetzes an der im inklusiven Schulbündnis festgelegten Schule oder an einer der im inklusiven Schulbündnis festgelegten Schulen vorrangig aufzunehmen. (§ 6 Abs. 2 VOiSB)

Jedes Kind sollte möglichst wohnortnah zur Schule gehen können. Somit ist die vorrangige Aufnahme an der weiterführenden Schule im Schulbündnis vor Ort meist durchaus sinnvoll.

Die inklusiven Schulbündnisse berücksichtigen die möglichst wohnortnahe Aufnahme von Schülerinnen und Schülern mit Anspruch auf sonderpädagogische Förderung.(§ 2 Abs. 3 VOiSB)

Ab Klasse 5 werden den Schüler:innen aber ohnehin weitere Wege zugetraut,

„die Verkehrsverhältnisse in Frankfurt sind sehr gut, so dass in der Regel jede Schule von jedem Wohnort aus gut erreichbar ist und die zumutbaren Fahrzeiten dabei nicht überschritten werden. Fahrzeiten von etwa einer Stunde sind zwar erheblich, aber nicht unzumutbar“,

schreibt das Staatliche Schulamt.

 Die Regelung der vorrangigen Aufnahme von Kindern innerhalb eines Schulbündnisses zur Platzgarantie bei sonderpädagogischer Förderung lässt also nicht im Umkehrschluss zu, dass die Eltern ausschließlich nur auf das „eigene“ Bündnis festgenagelt werden dürften.

Es gilt bei jeglichem Handeln der Grundsatz der Nicht-Diskriminierung, auch Eltern von Kindern mit Behinderungen können sich also die Wunschschule übers ganze Stadtgebiet aussuchen. Denn auch für sie gelten möglicherweise weitere Kriterien für die Schulwahl/Schul-aufnahme vergleichbar denen der Schüler:innen ohne Behinderungen.

Aufnahmekriterien

Wie für alle anderen Schüler:innen so haben auch die Schüler:innen mit Behinderungen die Möglichkeit der freien Schulwahl. Sie haben also damit auch die Möglichkeit sich Gedanken darüber zu machen, welche Schulen und/oder Schulkonzepte für sie am ehesten geeignet sind. Hier kommen im Einzelfall verschiedene Kriterien in Betracht, die seitens der Schulbehörde ohnehin bereits anerkannt sind:

Verkehrsverhältnisse und Schulweg

Der § 70 des Hessisches Schulgesetzes bestimmt, dass Schülerinnen und Schüler bevorzugt aufgenommen werden müssen, „die aufgrund der Verkehrsverhältnisse die für sie in Betracht kommende Schule nur unter erheblichen Schwierigkeiten erreichen können“.

 Eltern eines Kindes mit Körperbehinderung und/oder kognitiver Einschränkung sollten sich also Gedanken darüber machen, an welche Schule ihr Kind den Schulweg selbständig und mit Freunden bewältigen kann.

Inklusiv arbeitende Schule

§ 3 Abs. 1 VOiSB Entscheidung über Standorte inklusiven Unterrichts: Nach § 3 Abs. 1 entscheidet das inklusive Schulbündnis über die Standorte für den inklusiven Unterricht. Kriterien für die Festlegung solcher Standorte sind abhängig von den jeweiligen Förderschwerpunkten wie die barrierefreie Zugänglichkeit, Differenzierungsräume, eine spezifische Klassenraum- und Schulausstattung oder Kommunikations- und Interaktionsmöglichkeiten für Schülerinnen und Schüler mit Anspruch auf sonderpädagogische Förderung im jeweiligen Förderschwerpunkt.

 Hier sollten die Eltern prüfen, ob die von der Grundschule/BFZ vorgeschlagene Schule die Ansprüche für den inklusiven Unterricht im Fall ihres Kindes voraussichtlich durch Ausstattung und Örtlichkeiten erfüllen kann.

Barrierefreiheit/Zugänglichkeit

Nach § 6 Abs. 2 VOiSB sind die Schüler:innen und Schüler, die eine weiterführende Schule mit besonderer Ausstattung benötigen, sind im Rahmen der Festlegung des inklusiven Schulbündnisses nach § 52 Abs. 2 Satz 1 des Schulgesetzes an der im inklusiven Schulbündnis festgelegten Schule oder an einer der im inklusiven Schulbündnis festgelegten Schulen vorrangig aufzunehmen.

 Kinder mit Behinderung, ohne Anspruch auf sonderpädagogische Förderung, jedoch mit Anspruch auf besondere Ausstattung (z.B. bei Körper/Sinnesbehinderung), sind also ebenfalls vorrangig aufzunehmen, wenn die Schule über die entsprechende Ausstattung verfügt oder diese in absehbarer Zeit durch den Schulträger bereitgestellt werden kann.

Das soziale Umfeld

Das Kind mit Förderschwerpunkt emotionale/soziale Entwicklung an der Grundschule mit erfahrenem inklusiven Konzept wechselt z.B. mit einem Großteil seiner Lerngruppe der nicht behinderten Mitschüler:innen an die weiterführende Schule, weil so der nahtlose Übergang geschaffen werden kann und das Kind bei Krisen durch die Mitschüler:innen gut aufgefangen werden kann.

Familiäre Gründe

Die Schule kann auch die Geschwisterkinder vorrangig aufnehmen. Gerade bei Familien von Kindern mit Behinderungen ist die Belastung oft besonders groß, es kann hilfreich sein, wenn die Familie an einer Schule bereits über die Geschwisterkinder verwurzelt ist. Die „Großen“ mit ihrem sozialen Gefüge können unterstützend helfen, das Kind mit Behinderung hat schon einen sozialen Bezug dorthin. Schule ist nicht nur Bildungsort, sondern auch Lebens- und Sozialraum.

 Hinsichtlich der Familiensituation, der Beurteilung von Teilhabe und Zugänglichkeit auf Basis der UN-BRK sowie der Unterstützung durch familiäre Beziehungen kann für ein Kind mit Behinderungen die Anwesenheit eines Geschwisterkindes von besonderer Bedeutung sein.

Besonderer Schwerpunkt

Es sind zudem vorrangig alle Kinder aufzunehmen, deren Eltern den Besuch einer Schule mit einem vom Kultusministerium bestätigten besonderen Schwerpunkt (z.B. Musik, Sport, Sprachenfolge, Bilinguales Angebot) wünschen. Kriterium ist die verbindliche Anmeldung für das entsprechende Profil.

 In Frankfurt sind nur folgende Schulen entsprechend zertifiziert: Schulen mit Schwerpunkt Musik: Bettinaschule, Carl-Schurz-Schule, Elisabethenschule, Goethe-Gymnasium, Leibnizschule, Lessing-Gymnasium, Schule am Ried, Wöhlerschule.
 Die Musterschule als Zentrum zur Förderung musikalisch Hochbegabter und die Carl-von-Weinberg-Schule als Eliteschule des Sports.
 Die Schillerschule ist zertifiziertes Schulsportnebenzentrum in der Sportart Rudern.
 Für den bilingualen Zweig Deutsch-Italienisch an der Freiherr-vom-Stein-Schule gelten ebenfalls besondere Aufnahmebedingungen.
 Schwerpunkt mit Blick auf die Sprachenfolge (z.B. Schulen mit Nicht-Englisch als 1. Fremdsprache, auch Gesamtschulen gehören dazu).

Weitere Information und Beratung durch Dorothea Terpitz https://gemeinsamleben-hessen.de Hessen, Dezember 2021

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