Inklusion ist Menschenrecht

Recht auf Bildung

Inklusion ist Menschenrecht

1. Inklusion ist der Normalfall – wir sortieren nicht nur wegen Behinderung aus!

Alle Kinder werden in die allgemeine Schule aufgenommen.

Alle Kinder haben das Recht zusammen zu lernen.

Die Schulbehörde garantiert, dass die Lehrkräfte die richtigen Methoden anwenden, damit alle Kinder erfolgreich zusammen lernen können.

Lehrkräfte wissen, wie sie alle Kinder gemeinsam unterrichten müssen und dabei einen Blick auf jedes einzelne Kind haben können. Dazu gibt es viel Erfahrung und Fachwissen im System. Das nennt man „individuelle Förderung“ und „Binnendifferenzierung“.

2. Verfahren bei inklusiver Beschulung

Die Eltern melden ihr Kind in der allgemeinen Schule an. Die Schule nimmt das Kind auf.

Wenn ihr Kind in die Förderschule gehen soll, sagen die Eltern bis zum 15.12. des Vorjah­res in der allgemeinen Schule Bescheid. Die Schule organisiert das.

Sonst bleibt das Kind in der allgemeinen Schule.

Braucht das Kind eine besondere („sonderpädagogische“) Förderung, organisiert die allge­meine Schule das. Die Schulleitung richtet einen Förderausschuss ein.

Dafür holt sie im Beratungs- und Förderzentrum (BFZ) eine förderdiagnostische Stel­lungnahme ein.

Eine Förderschul-Lehrkraft des BFZ oder der Förderschule schreibt die förderdiagnos­tische Stellungnahme.

Die Förderschul-Lehrkraft ist eine Spezialistin für die Förderung von Kindern mit besonde­rem Förderbedarf und/oder Behinderung. Sie erstellt eine Zusammenfassung von den Fä­higkeiten und Schwächen des Kindes. Dafür schaut sie das Kind an, testet dieses und wertet die ärztlichen Diagnosen und Befunde aus, die die Eltern zur Verfügung stellen.

Sie gibt eine Empfehlung zu einer guten Beschulung fürs Kind. Sie beschreibt, welche Maßnahmen die allgemeine Schule ergreifen muss, damit das Kind erfolgreich lernen kann.

Im Förderausschuss beraten alle, die das Kind gut kennen über diese Empfehlung: Schul­leitung, Klassenlehrkraft, Eltern, Kita, Therapeuten.

Die Schule, das BFZ und die Eltern stimmen über den Förderbedarf ab. Sind sie sich ei­nig, wird die Förderung so umgesetzt. Sind sie sich nicht einig, entscheidet die Schulauf­sicht (das staatliche Schulamt), wie die Förderung des Kindes gut gelingt.

Da Inklusion der Regelfall ist und keinem Kind ohne Grund der Zugang zur allgemeinen Schule verweigert werden darf, entscheidet die Schulbehörde üblicherweise, dass es in­klusiv beschult wird.

Denn in der Inklusion kann das Kind genauso gut oder sogar noch besser lernen als in der Förderschule. Das sagen alle wissenschaftlichen Studien. Inklusion ist ein Rechtsan­spruch des Kindes gegen den Staat.

3. Die inklusive Beschulung

Inklusion von Kindern und Jugendlichen findet in Hessen im lernzielgleichen Bildungsgang oder in zwei herabgesetzten Bildungsgängen statt.

Die lernzielgleichen Bildungsgänge sind: Grundschule, Hauptschule, Realschule, Gymnasium.

Die herabgesetzten Bildungsgänge sind: Lernen und geistige Entwicklung (GE).

Für den Förderschwerpunkt und Bildungsgang Lernen gilt:

  • Es gibt einen eigenen Lehrplan, der an die Lerninhalte von Grund- und Hauptschule an­gelehnt ist.

  • Das Kind lernt im eigenen Tempo und an den Themen, die es lernen kann.

  • Die Lernfortschritte des Kindes werden über den individuellen Förderplan erarbeitet.

  • Das Kind soll einen Hauptschulabschluss schaffen können, muss es aber nicht.

  • Für diejenigen, die den nicht schaffen, gibt es den „berufsorientierten Abschluss“ (das ist kein allgemein gültiger Schulabschluss).

  • In der Grundschule gibt es eine Beurteilung in Worten, in der weiterführenden Schule gibt es Noten auf dem Zeugnis.

  • Das Kind schreibt Klassenarbeiten, die für seinen Lernstand bestimmt sind.

  • Die Noten sind nicht vergleichbar mit anderen Kindern, sie orientieren sich am Lernstand im Förderplan und an den Lernfortschritten, die es hier macht.

  • Ziel: Jedes Kind lernt so viel wie es gerade kann. Es wird nicht überfordert.

Für den Bildungsgang und Förderschwerpunkt geistige Entwicklung (GE) gilt:

  • Es gibt keinen Lehrplan, die Lehrkräfte geben für das einzelne Kind passende Lernangebo­te.
  • Die Lernangebote sind einfach, lebenspraktisch und handlungsorientiert.
  • Es gibt keine Schulfächer, das Kind lernt in Kompetenzbereichen wie Kommunikation und Sprache, Selbstversorgung, Mobilität etc.
  • Lesen, Schreiben und Rechnen gehören auch dazu.
  • Der Bildungsgang zielt darauf ab, dass der erwachsene Mensch mit Behinderung sich spä­ter gut im allgemeinen Leben zurechtfindet.
  • Ziel: Jedes Kind lernt so viel wie es gerade kann. Es wird nicht überfordert.

In einer Klasse sind viele verschiedene Kinder. Sie alle haben unterschiedliche Fähigkei­ten und Schwierigkeiten/Stärken und Schwächen. Sie lernen gemeinsam.

Die Lehrkraft gibt zu einem Thema unterschiedlich schwere und leichte Lernangebote. Jedes Kind bearbeitet seine Aufgaben und lernt das, was es schafft.

Für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf kommt eine Förderschullehrkraft hinzu. Diese versorgt die Kinder mit besonderem Förderbedarf mit eigenem Material. Sie übt stundenweise auch nur mit ihnen allein an eigenen Themen (insbesondere bei Mathe und Deutsch).

Beim Bildungsgang Lernen ist eine Förderschullehrkraft „systemisch“ eingesetzt. D.h. sie ist an der Schule und kommt stundenweise in den Unterricht (pro Kind ca. 2,8 Stunden pro Woche).

Beim Bildungsgang GE hat das Kind ein Recht auf 4,5 Stunden in der Woche eigene Förderung durch eine dafür ausgebildete Förderschullehrkraft. (Dies entspricht in etwa der möglichen Einzelförderung des Kindes an einer Förderschule GE).

Für jedes Kind, das durchgehend eine persönliche Begleitung und Hilfe braucht, um lernen zu können, steht eine Schulbegleitung (Teilhabeassistenz) zur Verfügung.

Die Eltern müssen die Teilhabeassistenz beim Jugend/Sozialamt ihres Ortes beantragen und über eine Firma (Leistungserbringer) eine Person dafür finden.

4. Fazit:

Kinder mit besonderem Förderbedarf haben in der Inklusion mindestens eine ebenso gute Unterstützung wie in der Förderschule.

In der Förderschule ist für alle Kinder nur eine Lehrkraft für Kinder zuständig. Aber alle Kinder benötigen ein intensive Förderung. Diese Lehrkraft hat dann also ca. 2,8 Stunden in der Woche Zeit für das einzelne Kind in der Förderschule Lernen (bei 15 Kindern) und ca. 4,5 Stunden in der Woche in der Förderschule GE (bei 8 schwer behinderten Kindern).

Die Fachleute aus der Sonderpädagogik sind also mit gleich vielen Stunden für das einzel­ne Kind in der Klasse der allgemeinen Schule wie in der Förderschule. Das organisiert das Beratungs- und Förderzentrum (BFZ).

Die Kinder haben in der Inklusion zusätzliche Lernangebote, die sie annehmen kön­nen.

Kinder in der Inklusion müssen aber nicht dasselbe lernen, wie die anderen Kinder, son­dern nur das, was sie selbst auch schaffen. Dafür haben sie einen eigenen Lern- und För­derplan wie in der Förderschule.

Sie haben die Möglichkeit von anderen Kindern zu lernen, die schon mehr können und keine Lernschwierigkeiten haben. In der Förderschule sind nur Kinder mit Lernschwierig­keiten, die alle sehr viel Unterstützung benötigen.

Die Kinder in der Inklusion haben das Recht auf eine zusätzliche Begleitperson, die sich um das einzelne Kind kümmert und dafür sorgt, dass sie an allen Dingen beim Lernen teil­haben können.

Wissenschaftliche Studien sagen:

Kinder in der Inklusion lernen damit mehr als Kinder in der Förderschule.

Die anderen Kinder lernen gleich gut, egal ob Förderkinder in der Klasse sind oder nicht.

Kinder in der Inklusion haben mehr und bessere Angebote als in der Förderschule. Sie haben bessere Vorbilder. Sie werden nicht mehr nur auf das Merkmal der Behinderung reduziert.

Kinder in der Inklusion müssen sich nicht schämen, weil sie in eine spezielle Schule gehen müssen. Sie gehören dazu und können auch ihre Stärken in die Klassengemein­schaft einbringen. Das nutzt allen Kindern. Auch die anderen Kinder lernen, dass alle ver­schieden sind und jeder etwas gut kann und eben auch mal besondere Hilfe braucht.

Kinder in der Inklusion fühlen sich wohl. Sie gehen gern in die Schule. Trotz vieler Pro­bleme an den Schulen, gibt es weniger Gewalt an den allgemeinen Schulen als in der För­derschule.

Die Förderschule bietet eine schlechte Zukunftsperspektive:

Die überwiegende Mehrheit (72,7 Prozent) der Förderschüler*innen verlässt die Schule ohne anerkannten Abschluss. Die Betroffenen wechseln anschließend in ge­sonderte Formen der Berufsausbildung; viele von ihnen arbeiten später in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen.

6. Die Rechtslage

Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ist Teil der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

Die UN-BRK sagt in Art. 24:

Jeder Mensch mit Behinderung hat das Recht, mit anderen Menschen zusammen zu ler­nen.

Behinderte und nicht behinderte Kinder sollen zusammen in eine Schule gehen.

Keine Schule darf sagen, dass ein Kind wegen einer Behinderung nicht dort lernen darf.

Jeder Mensch mit Behinderung muss dafür die notwendige Hilfe bei der Bildung bekom­men.

Unser Grundgesetz Art. 3 sagt:

„Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“

Gerichte in Sachsen und Sachsen-Anhalt haben bereits 2013 und 2015 entschieden, dass die Sonderschule das Kind benachteiligt. Die Schulbehörde darf also ein Kind nicht in die Förderschule schicken, wenn die Eltern das nicht wollen. Sie muss dafür sorgen, dass das Kind in der allgemeinen Schule gut lernen kann.

Bundesverfassungsgericht hat das Recht auf Bildung festgestellt:

Der Staat muss nach Art. 7 Grundgesetz die Schulbildung garantieren. Dabei hat er die Pflicht nach Art. 2 GG Kinder und Jugendliche bei ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen und zu fördern. [Beschluss des Ersten Senats vom 19. November 2021 - 1 BvR 971/21, RN 48]

Weil jedes Kind dieses Recht auf schulische Bildung hat, kann es vom Staat die unver­zichtbaren Mindeststandards von Bildungsleistungen an staatlichen Schulen verlangen. Für Kinder mit Behinderungen muss der Staat diese Forderung so umsetzen, dass sie nicht benachteiligt oder ausgesondert werden. Das Gericht verweist extra auf die UN-BRK.

In Hessen schreibt das Schulrecht vor:

Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Bildung. ... Aus diesem Recht auf schulische Bildung ergeben sich einzelne Ansprüche, wenn sie nach Voraussetzungen und Inhalt in diesem Gesetz oder aufgrund dieses Gesetzes bestimmt sind.“ (§1 HSchG)

„Die Schule ist so zu gestalten, dass die gemeinsame Erziehung und das gemeinsame Lernen aller Schülerinnen und Schüler in einem möglichst hohen Maße verwirklicht wird und jede Schülerin und jeder Schüler unter Berücksichtigung der individuellen Ausgangs­lage in der körperlichen, sozialen und emotionalen sowie kognitiven Entwicklung ange­messen gefördert wird. Es ist Aufgabe der Schule, drohendem Leistungsversagen und an­deren Beeinträchtigungen des Lernens, der Sprache sowie der körperlichen, sozialen und emotionalen Entwicklung mit vorbeugenden Maßnahmen entgegenzuwirken.“ (§ 3 HschG)

Förderauftrag (§ 49 HschG)

(1) „Kinder und Jugendliche, die zur Gewährleistung ihrer körperlichen, sozialen und emo­tionalen sowie kognitiven Entwicklung in der Schule sonderpädagogischer Hilfen bedürfen, haben einen Anspruch auf sonderpädagogische Förderung.“

(2) „Den Anspruch auf sonderpädagogische Förderung erfüllen die allgemein bildenden und beruflichen Schulen ... sowie die Förderschulen mit ihren verschiedenen Förder­schwerpunkten.“

(4) „Die sonderpädagogische Förderung erfolgt für jede Schülerin und jeden Schüler auf der Grundlage eines individuellen Förderplans.“

Inklusion als Regelform (§ 51 HSchG)

„Inklusive Beschulung … findet als Regelform in der allgemeinen Schule in enger Zu­sammenarbeit mit dem zuständigen sonderpädagogischen Beratungs- und Förderzentrum und gegebenenfalls unter Beteiligung der Förderschule statt. Bei der Planung und Durch­führung der inklusiven Beschulung wirken Förderschullehrkräfte und Lehrkräfte der allge­meinen Schulen entsprechend dem individuellen Förderplan nach § 49 Abs. 4 zu­sammen. Die Beratung für die inklusive Beschulung erfolgt durch das zuständige sonder­pädagogische Beratungs- und Förderzentrum und die Schulaufsichtsbehörde.“

Wahl der Förderschule nur durch die Eltern (§ 54)

Alle schulpflichtigen Kinder werden in die allgemeine Schule aufgenommen. Bei Anspruch auf sonderpädagogische Förderung kann bei der Anmeldung ... durch die Eltern die unmit­telbare Aufnahme in der Förderschule beantragt werden.