Abgrenzung THA- und BFZ-Stunden

Recht auf Bildung Teilhabeassistenz

Zur Kürzung der Eingliederungshilfe mit Verweis auf die Anwesenheit der Sonderpädagogik – ein Versuch der Abgrenzung des Arbeitsauftrags von Sonderpädagogik und Eingliederungshilfe

Gerade im Förderschwerpunkt und Bildungsgang Geistige Entwicklung (GE) kürzen die Träger der Eingliederungshilfe im Rahmen ihres Bedarfsermittlungsverfahrens zunehmend die durch die Teilhabeassistenz zu leistenden Stunden um die durch die Schulbehörde gewährten 4,9 Stunden für die Förderschullehrkraft im inklusiven Unterricht.

Das führt aber in vielen Fällen zu einer nicht vollumfänglichen Abdeckung der Versorgung des Kindes/Jugendlichen. Der sonderpädagogische Förderbedarf und der personenzentrierte Hilfebedarf erfüllen unterschiedliche Aufgaben beim Zugang des Kindes/Jugendlichen zu Bildung.

Gemäß dem Auftrag des Schulgesetzes ist es erforderlich, das Schulwesen so zu gestalten, dass ein gemeinsamer und kompetenzorientierter Unterricht stattfindet. Die Weiterentwicklung der Beratungs- und Förderzentren zielt darauf ab, den konzeptionellen Ansatz einer inklusiven Förderung der Schüler*innen mit Behinderung zu realisieren, die Lehrkräfte der allgemeinen Schulen dabei zu unterstützen und die Eltern zu beraten.

Die Aufgabenbereiche

Der Auftrag der regionalen Beratungs- und Förderzentren (rBFZ – Sonderpädagogik) ergibt sich aus dem Hessischen Schulgesetz, der Verordnung zur Gestaltung der schulischen Verhältnisse (VOGSV), der Verordnung zur Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit Beeinträchtigungen (VOSB) und der Verordnung inklusiver Schulbündnisse (VoiSB).

Kinder und Jugendliche, die für ihre körperliche, soziale, emotionale oder kognitive Entwicklung sonderpädagogische Unterstützung in der Schule benötigen, haben das Recht auf sonderpädagogische Förderung. Allgemeine Schulen und regionale Beratungs- und Förderzentren (rBFZ) haben gemeinsam die Aufgabe, die Integration von Kindern und Jugendlichen mit Anspruch auf sonderpädagogische Förderung in die Gesellschaft zu fördern und dabei mit den Behörden, Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie den Trägern der Sozialhilfe zusammenzuarbeiten. Die regionalen sonderpädagogischen Beratungs- und Förderzentren bieten den allgemeinen Schulen Unterstützung und Beratung in präventiven Maßnahmen sowie bei der Umsetzung inklusiver Bildung. Sie stellen den allgemeinen Schulen Förderschullehrkräfte für den inklusiven Unterricht im Rahmen ihres verfügbaren Lehrerressourcenkontingents zur Verfügung (in Form von systemischer Zuweisung durch die Schulbehörde, nicht für den Einzelfall!).

Diese BFZ-Förderschullehrkräfte machen also üblicherweise keinen Einzelunterricht, in dem ein Kind eine 1:1 Betreuung hat, sondern sorgen dafür, dass die inklusive Beschulung in der Gesamtgruppe durch beispielsweise differenziertes Material und verschiedene Unterrichtsmethoden umgesetzt wird. Sie sind dann nicht nur bei einem Kind, sondern setzen ihr Stundenkontingent oft über die Gruppe der Kinder mit festgestelltem Förderschwerpunkt um. Dazu gehört dann aber auch die Zeit, die die BFZ-Förderschullehrkraft für die sogenannten „Vorbeugenden Maßnahmen“ aufbringt. Die Aufgaben der (sonder)pädagogischen Förderung umfassen die pädagogische Kernkompetenz der (Förderschul)lehrkräfte zur Auswahl des Lernangebotes und zur Wissensvermittlung.

Der Aufgabenbereich des schulischen Personals unterscheidet sich nach der Rechtsprechung maßgeblich von den Aufgaben der Teilhabeassistenz, welche als feste Ansprechperson für die nicht-schulische Begleitung durch betreuerische, pflegerische und allgemeinpädagogische Aufgaben die Teilhabe an Bildung aus sozialrechtlicher Perspektive überhaupt erst gewährleisten kann.

Eine Teilhabeassistenz (THA) bietet gezielte Unterstützung, die genau auf die individuellen Bedürfnisse des Kindes abgestimmt ist. Sie spielt eine wesentliche Rolle dabei, Barrieren im Schulalltag zu überwinden und das Kind zu befähigen, aktiv am Unterricht teilzunehmen und seine Fähigkeiten bestmöglich zu entfalten. Ein weiterer wichtiger Aspekt der THA ist die Förderung der Inklusion. Durch ihre Hilfe kann das Kind aktiv und gleichberechtigt am Schulleben teilnehmen, was seine Integration in die Klassengemeinschaft erleichtert und seine soziale sowie emotionale Entwicklung fördert.

Darüber hinaus unterstützt die THA das Kind in praktischen Alltagssituationen, wie etwa beim An- und Ausziehen, beim Benutzen von Hilfsmitteln oder bei der Orientierung im Schulgebäude. Diese Art der Unterstützung ist oft entscheidend, um dem Kind eine möglichst selbstständige Teilnahme am Schulalltag zu ermöglichen. Während die THA in verschiedenen Bereichen Unterstützung bietet, liegt ein besonderes Augenmerk darauf, die Selbstständigkeit des Kindes zu fördern. Durch gezielte Hilfestellung lernt das Kind, Aufgaben zunehmend eigenständig zu bewältigen, was langfristig seine Unabhängigkeit stärkt.

Die THA fungiert zudem als wichtige Schnittstelle zwischen dem Kind, den Lehrkräften und den Eltern. Sie trägt dazu bei, dass wichtige Informationen über die Fortschritte des Kindes weitergegeben werden und alle Beteiligten gut informiert und in die Fördermaßnahmen eingebunden sind. Ihre Unterstützung ist flexibel und kann an den aktuellen Förderbedarf des Kindes angepasst werden. Dies ermöglicht eine bedarfsgerechte und situationsspezifische Förderung, die sich an den individuellen Entwicklungsfortschritten des Kindes orientiert.

Auch im emotionalen und sozialen Bereich leistet die THA wertvolle Unterstützung, indem sie bei Konflikten vermittelt, Ängste abbaut oder dem Kind hilft, mit Frustrationen umzugehen. Dadurch trägt sie zu einem positiven Schulklima und einer stabilen emotionalen Entwicklung des Kindes bei. Schließlich spielt die THA eine entscheidende Rolle bei der Sicherung des Lernerfolgs. Sie hilft, Lernhindernisse zu überwinden und stellt sicher, dass das Kind den Unterrichtsinhalten folgen kann, um Lerndefizite zu vermeiden.

Zudem unterstützt die THA das Kind in der Entwicklung sozialer Kompetenzen wie Kommunikation, Kooperation und Konfliktlösung, die für den schulischen und späteren beruflichen Erfolg von großer Bedeutung sind.

Weitere Erwägungen bei der Bedarfsermittlung durch die Eingliederungshilfe

Der sonderpädagogische Förderbedarf fällt also in die Kernkompetenz der Lehrkräfte und unterscheidet sich grundsätzlich vom reinen Hilfebedarf der Eingliederungshilfe. Weder ist die Eingliederungshilfe nur „Ausfallbürge“ für die fehlende Unterstützung durch die Schulbehörde, noch sind Lehrkräfte in der allgemeinen Schule oder Förderschule dazu verpflichtet die betreuerischen und pflegerischen Zusatzaufgaben im Einzelfall zu übernehmen. Eine in solchen Fällen notwendige 1:1-Betreuung durch erwachsene Personen mit dem Ziel der Pflege, Beaufsichtigung und Betreuung ist im deutschen Schulsystem nicht vorgesehen.

Im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung trifft die Schulaufsichtsbehörde die Entscheidung über eine ergänzende, schülerbezogene personelle Zuweisung im Rahmen des zur Verfügung stehenden Stellenkontingents auf der Grundlage der Empfehlung des Förderausschusses.

Hierauf besteht aber kein gesetzlicher Anspruch, da der Anspruch auf sonderpädagogische Förderung nur im Rahmen der durch den Haushaltsgesetzgeber für die sonderpädagogische Förderung zur Verfügung gestellten Mittel erfüllt werden kann. Ferner besteht auch kein subjektiv-rechtlicher Anspruch gegen das Land bzw. den Schulträger auf Bereitstellung einer bestimmten Anzahl von Lehrkräften, pädagogischen Fachkräften und sonstigen Hilfspersonals (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 10. November 2004, 7TG 1413104, juris, Rdnr. 32).

Den Überlegungen des Kostenrägers (Eingliederungshilfe), dass möglicherweise ausreichend Personal im Unterricht vor Ort anwesend ist, dass die Aufgaben zur Sicherung der Teilhabe an Bildung zumindest zeitlich von anderen Kräften mitübernommen werden könnte, muss entgegengehalten werden, dass

  • die Zuweisung einer Förderschullehrkraft von 4,9 Stunden im inklusiven Unterricht in der Regel nicht der 1:1 Betreuung dienen, weil es noch andere Schüler*innen mit GE in der Klasse/der Schule gibt;
  • selbst im laufenden Stundenplan häufig nicht klar ist, wann und mit wie vielen Stunden die zusätzliche Förderschullehrkraft in den Unterricht, die Kleingruppen- oder ausnahmsweise die Einzelförderung kommt;
  • im Zuge des eklatanten Personalmangels an Schulen der Ausfall der Förderschullehrkraft u.a. bei Krankheit nicht durch fachlich qualifizierte Vertretung kompensiert werden kann
  • die notwendigen Kooperationszeiten zwischen Förderschullehrkraft und Teilhabeassistenz von der Eingliederungshilfe berücksichtigt werden müssen (in der Sonderpädagogik sind sie vorgesehen), damit die Teilhabeassistenz den von der Lehrkraft vermittelten Lernstoff angemessen üben und vertiefen kann;
  • die Begleitung beim Toilettengang, das Windeln-Wechseln und ähnliche pflegerische Aufgaben, die in nicht vorhersehbaren und unregelmäßigen Abständen anfallen, nicht in das Aufgabengebiet der Lehrkräfte gehört.

Übersicht Abgrenzung von Teilhabeassistenz (THA) und Schule

Rolle der Beratungs- und Förderzentren (BFZ): (= Bereich Kernkompetenz der Lehrkräfte)

  • Ziel: Unterstützung der allgemeinen Schule in inklusiver Bildung.
  • Aufgaben: Bereitstellung sonderpädagogischer Fachkompetenz, Beratung und Unterstützung der Lehrkräfte und Eltern.
  • BFZ-Lehrkräfte fördern stundenweise inklusives Lernen durch differenzierte Materialien und Methoden, keine 1:1 Betreuung.

Abgrenzung zur Teilhabeassistenz (THA): (= Bereich allgemeinpädagogische Maßnahmen)

  • THA als 1:1 Unterstützung: Individuelle Begleitung des Kindes in schulischen Alltagssituationen.
  • Ziel: Abbau von Barrieren im Schulalltag/Unterstützung bei schulischen und praktischen Aufgaben (z.B. An- und Ausziehen, Orientierung)/Förderung emotionaler und sozialer Kompetenzen (Konfliktvermittlung, Angstabbau).
  • Stärkung der Selbstständigkeit und sozialen Integration zur Überwindung der Teilhabebarrieren.

Rechtslage und Bewilligung von THA:

  • THA-Leistungen nach § 112 SGB IX und § 35a SGB VIII werden unabhängig von schulischer Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs gewährt
  • Praxis der Kopplung von THA an das schulische Feststellungsverfahren für den Förderbedarf ist rechtlich unzulässig.
  • Sozial- und Jugendamt prüfen die Bewilligung der Leistungen für Teilhabe an Bildung (hier Teilhabeassistenz) eigenständig nach sozialrechtlichen Vorgaben.

Unterschiedliche Rechtsgrundlagen:

  • THA: Sozialgesetzbuch (SGB IX und VIII) – Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers außerhalb des Kernbereichs der pädagogischen Arbeit (vgl. Rechtsprechung).
  • BFZ: Schulrechtliche Grundlagen (Hessisches Schulgesetz, VOGSV, VOSB, VoiSB) – Unterstützung der Schule in pädagogischer Arbeit.
  • Bewilligung der THA darf nicht an schulische Maßnahmen gekoppelt sein (BSG-Urteile 2017 und 2019). Eingliederungshilfe leistet nachrangig, wenn Schule die Leistung nicht erbringt oder erklärt, sie nicht erbringen zu können.
  • Bei der Prüfung des Bedarfs gilt ein individueller Maßstab („nach der Besonderheit des Einzelfalles“).

Das bedeutet:

=> Feststellung eines Förderschwerpunkts durch die Schule ist keine Voraussetzung für die THA.

=> THA muss basierend auf den individuellen Bedürfnissen und Beeinträchtigungen des Kindes bewilligt werden.

=> Unabhängigkeit der sozialrechtlichen Ansprüche von schulrechtlichen Verfahren betonen.

=> Überprüfung der aktuellen Praxis in den Institutionen und Sicherstellung korrekter Bewilligungspraxis.

Fallbeispiele:

  • Kinder mit laufenden Maßnahmen vor Einschulung (Integrationsplatz, Autismustherapie) haben bereits anerkannte Teilhabebeeinträchtigungen.
  • Leistungsstarke Autist*innen ohne Förderschwerpunkt EMS benötigen dennoch THA aufgrund sozialer und kommunikativer Einschränkungen.

Ziel

  • Sicherstellung, dass Leistungen der Eingliederungshilfe für eine THA unabhängig von schulischen Feststellungsverfahren bewilligt werden.
  • Stärkung der Zusammenarbeit und klarer Abgrenzung der Zuständigkeiten zur Unterstützung der betroffenen Kinder.
  • Ziel ist die bestmögliche Unterstützung für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen, um ihre Teilhabe an Bildung und am gesellschaftlichen Leben zu sichern.

Die Kriterien des Erlasses zur Feststellungsdiagnostik im Schulrecht müssen in jedem Fall BEIDE erfüllt sein, sonst darf ein Anspruch auf individuelle Förderung nicht festgestellt werden.

  • Kriterium 1: Lang andauernde Störung der emotionalen und sozialen Entwicklung.
  • Kriterium 2: Beeinträchtigung der Lernentwicklung.
  • Auswirkungen: Stark beeinträchtigtes schulisches Lernen, Leistungspotenzial kann nicht umgesetzt werden.
  • Diagnoseprozess: Zusammenführung aller Informationen (Gutachten, Berichte, Förderpläne) zu einem umfassenden Bild der Schülerin/des Schülers.
  • Förderungsempfehlung: Basierend auf multiprofessionellen Einschätzungen und Elternanhörung wird die Art, Umfang und Organisation der Förderung vorgeschlagen.
  • Unterrichtsziel: Unterricht nach Zielsetzungen der allgemeinen Schule mit spezifischer, individueller Förderung.
  • Sonderpädagogische Förderung: Organisation von Unterricht kann auch teilweise Teilnahme am Klassenunterricht beinhalten.
  • Überprüfung: Alle zwei Jahre Überprüfung der Notwendigkeit und Wirksamkeit der sonderpädagogischen Förderung.
  • Psychische Beeinträchtigungen: Berücksichtigung schulpsychologischer Maßnahmen (z. B. bei Traumafolgestörungen).
  • Autismus-Spektrum: Unterstützung durch Nachteilsausgleich, Fachberater*innen für Autismus.
  • Kognitive Beeinträchtigungen: Unterricht in einem lernzieldifferenten Bildungsgang.
  • Sinnesbeeinträchtigungen: Einbeziehung des überregionalen Beratungs- und Förderzentrums (üBFZ) oder zuständiger Förderschule.

IBH Hessen, www.inklusion-hessen.de, September 2024